Rede  Anna Katharina Frohne  

Visuelle Poesie Vinzenz Weerth

 

Herr Vinzenz Weerth hat durch das Schreiben von Texten verschiedener Arten, (Gedichte, Erklärungen, Aufforderungen, sanfte, aber sehr bewegende Kritiken) in Verbindung mit farbiger Grafik zu einer Einheit gefunden, wobei die Grafik eine Stimmung jenseits der Illustration erzeugt. Es entstehen auf diese Weise Gedichtbilder, Sprachkunstbilder, Wertebilder, die man als Bewußtseinsbilder bezeichnen kann, es sind Bilder mit Sprache, die aus der Seele sprechen.

Die Arbeitsweise des Herrn Weerth entspricht nicht den traditionellen Vorstellungen von Kunst als ein in erster „Linie“ handwerkliches Können. Sie ist vielmehr eine Weiterführung von konzeptuellen künstlerischen Ansätzen, die auf die Aussagekraft eines Gedankens abzielen und auch hierin die ästhetische Dimension der künstlerischen Aussage verankern.

Es geht also nicht um die oberflächliche Bildgestaltung und ihre Schönheit, sondern um die Ästhetik einer gedanklichen Figur. Dabei bildet der literarische Gehalt der Wortkombinationen in Weerths Arbeiten den Kern seines künstlerischen Anliegens. Er verknüpft diese Wortkunst mit farbigen Grundierungen, die durchaus als ein Echo des semantischen(Sprache betreffend), aber auch des emotionalen Gehalts seiner Aphorismen fungieren.

Die Schönheit eines Satzes „Ich bin willkommen“ äußert sich auch in den warmen Farben, den Rot- und Pinktönen, die einen quasi atmosphärischen Raum oder Horizont seiner Gedanken bilden. Beide Ebenen sollen den Betrachter berühren und zur Reflektion anregen sowohl über die Aussage als auch über die Stimmungen, die seine ornamental angeordneten Farbblöcke hervorrufen.

Ich bin willkommen“. Sind wir wirklich willkommen? Was ist hier gefragt? Anerkennung oder Erfolg? Was ist mit den Schattenseiten, mit dem Ungeklärten? Das „Ich“ in seiner Eigenart, das zu einer leeren Affirmation wird, wenn es sich selbst vor alles Andere setzt, ist auf die Akzeptanz von außen angewiesen. Bevor es sich selbst annehmen kann, wird es immer schon angenommen. Und diese Annahme ist ein Willkommenheißen jenseits der leeren Selbstbehauptung.

Um noch einmal auf Ornament zurückzukommen im Zusammenhang mit diesen Farbmustern, so meine ich „das“ nicht im Sinne von dekorativ. Vielmehr hat das Ornament einen hohen künstlerischen Anspruch und kulturellen Wert. Es ist nicht nur ein stilgeschichtliches Element der angewandten Künste, denn besonders die Künstler der Avantgarde (etwa Henri Matisse) setzten sich intensiv mit den Potentialen ornamentaler Bildstrukturen auseinander, weil das gegenstandslose Farbspiel eine Reflexionsebene anderer Ordnung eröffnete, die nicht mehr das Bild in erster Linie als ein erzählendes Medium auffasste. Matisse orientierte sich in seiner Malerei an den Ornamentstrukturen der arabischen Kultur, um so einen Abstraktionsgrad zu erzielen, der eine meditative Konzentration in Betrachtung seiner Bilder ermöglichte.

Dieser Hang zur Abstraktion eröffnet einen Reflexionsraum, ein Betrachten, das nicht linear auf ein Ziel hin verläuft, sondern schweifend und in Überlegungen zu den Wortspielen zugleich eine meditative Ebene erschließt. Die Sinneinheiten der kurzen Sätze, die Weerths Werke kennzeichnen, sind ebenso abstrakt wie konkret. Sie sprechen Bedürfnisse und Vorstellungen an, die abstrakt bleiben, solange sie nicht das Bewusstsein durchdringen und tätiges Handeln motivieren. Ihre formale Struktur in Verbindung mit den ornamentalen Farbfeldern erinnert an Sinnsprüche, die früher als gestickte Motive über Türen angebracht waren.

Doch verbirgt sich hinter der Schlichtheit von Weerths Formulierungen ein tieferer Sinn, der beim Betrachten dieser Arbeiten nachwirkt und eine Spur hinterlässt. Sie machen nachdenklich, weil sie elementare Bedürfnisse aufrufen und tiefe Empfindungen auslösen, obwohl sie auf den ersten Blick vielleicht wie eine formale Spielerei wirken. Sie erinnern an die Binsenweisheiten der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer, deren Kunst darin besteht, pointierte Sprüche an öffentlichen Orten zu platzieren. Man kann sie aufnehmen oder ablehnen, aber man kann sich ihrer Wirkung nicht entziehen, sobald man einmal den Wortlaut mit Verstand gelesen hat. Diese Wirkmacht besitzen auch die Arbeiten von Herrn Weerth.

Ihre zurückhaltende, am Computer generierte Erscheinungsform wird von ihrer gedanklichen Intensität überstrahlt. Die Bilder sind fühlbar durch die Farbgebung der Schrift, der Farbflächen, des gesamten Farbraumes, die genau der Aussage des Themas entsprechen und in den Farbtonwerten die feinen Nuancen ausleuchten. Die Bilder sind Impulse im Alltag unserer Wahrnehmungsmuster, weil sie uns innehalten lassen. In diesem Sinne sind sie auch provokant, weil sie Sinnebenen jenseits der Effizienzanforderungen unserer gegenwärtigen Lebenskultur erschließen.

Sie weisen uns darauf hin, dass, wenn möglich, etwas fehlt, wie es bei Brecht heißt „trotz aller leistungssteigernder Angebote und immer neuer Produkte, die unsere Bedürfnisse erfüllen sollen.“

Daher sind diese hier vorgestellten Aphorismen nicht nur als Ausdruck einer ethischen Haltung zu verstehen, sondern als Impuls, in dem das berühmte Wort Rainer Maria Rilkes mitschwingt, das der Philosoph Sloterdijk für sein jüngstes Buch entlehnt hat, in dem es heißt „denn da ist keine Zeile, die nicht sagt: „Du musst dein Leben ändern.“

 

Das erste von zwölf Bildern wird heute der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Es folgen weitere, die insgesamt 120 Werte in ihren Lebenszusammenhängen beschreiben. Die Werte sind freiwillig, das macht sie so attraktiv. Sie sind keine Vorschriften oder neue Pflichten, sie sind eher eine Bereicherung, die im Zusammenhang mit den Grafiken das Wesentliche des Lebens direkt ansprechen.

Herr Weerth wird jetzt die ersten zehn Werte in einer Klangmeditation vorstellen.

 

 

Einführung Ausstellung Visuelle Poesie Vinzenz Weerth v. Anna Katharina Frohne am 22.8.09

 

 

Abschrift des Manuskriptes